Sonderausstellung vom 22. August 2020 – 29. August 2021
Fremdplatziert, verdingt, entmündigt, in Anstalten versorgt, zwangsadoptiert oder -sterilisiert: bis in die 1970er-Jahre waren in der Schweiz zehntausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen. In Graubünden waren es mehrere Tausend. Viele kamen aus schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Ihre von bürgerlichen Normen abweichende Lebensweise war Grund für massive Eingriffe und repressive Massnahmen.
Seit einigen Jahren erheben Betroffene verstärkt ihre Stimme. Sie berichten vom Erlittenen und fordern Aufarbeitung. Dass ihnen Unrecht geschah, wird heute offiziell anerkannt. 2017 sprach die Bündner Regierung eine Entschuldigung aus.
Die Ausstellung stellt fünf Betroffene ins Zentrum, geboren zwischen 1881 und 1957. In begehbaren Räumen aus Karton sind Sie als Besucherin und Besucher eingeladen, in ihre Welt einzutauchen. Hörspiele und Archivdokumente erzählen die Schicksale. Und es wird gefragt: Wie betrifft uns das Geschehene heute?
Hörstücke
«Ich habe mich nicht in diese sogenannte Corecktion fügen können»
Wie Florian Branger (1881–1956) aus der Arbeitsanstalt Realta flieht.
«Ich konnte nicht einmal meinen Kindern Adio sagen»
Wie die Familie Albin* 1953 aufgelöst wird und acht Kinder ihr zu Hause verlieren.
«Ich bin behandelt worden wie eine Kiste»
Wie der Verdingbub Ruedi Hofer* (geb. 1943) von Platz zu Platz geschoben und schwer verletzt wird. Interview: Tanja Rietmann
«Du bist nichts wert, aus dir wird sowieso nichts»
Wie Cornelia Studer (1957–2019) im Kinderheim Entwurzelung, Gewalt und Isolation erlebt.
«Solche Akten sind ein Verbrechen»
Wie für Uschi Waser (geb. 1952) das Lesen ihrer Akten zum schlimmsten Erlebnis wird. Interview: Sara Galle
* Namen und geringfügig weitere Angaben zum Schutz der Persönlichkeit geändert
Regie: Christina Caprez, Text: Christina Caprez und Tanja Rietmann, Tonaufnahme und Sounddesign: Michel Decurtins
Film
Film mit Sergio Devecchi, Peter Dörflinger und Marianne Hochuli
Drei Menschen, die von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen waren oder selbst im Sozialwesen tätig sind, erzählen, was das Thema für sie heute bedeutet.
Interviews: Tanja Rietmann, Videoaufnahme: Thomas Karrer
«Fragenstellerei»
Auf Plakaten und Postkarten in der Ausstellung stehen grundsätzliche Fragen an ein gesellschaftliches Zusammenleben.
Die Antworten der Ausstellungsbesucher (pdf)